Klinik vor Ort: Was Zahnpasta mit dem Knorpel gemein hat

In der Serie "Klinik vor Ort" berichtet die Redakteurin Inga Mennen M. A. in Zusammenarbeit mit dem Chirurgen Dr. Bernd Sauer aus dem Krankenhaus Wittmund. Verletzungen des Gewebes können repariert werden: Zum Beispiel durch die Aufbereitung eigener Zellen.
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Ist der Knorpel beschädigt, dann hat jeder, der den inneren Schweinhund in Sachen Sport nicht überwinden kann, eine Ausrede – denn ohne Knorpel keine Beweglichkeit. Das kennen die Leser der Serie „Klinik vor Ort“ schon von den Themen Gelenkersatz, der eingesetzt wird, wenn die Arthrose, also der Gelenkverschleiß, so groß ist, dass nur noch eine Endoprothese zu einem normalen Leben zurückverhelfen kann.

Transplantation aus anderen Gelenken

Aber es gibt eine Reihe von Knorpelschäden – auch hervorgerufen durch Verletzungen, die durchaus anders behandelt werden können. Auf dem Gebiet kennt sich PD Dr. Matthias Lerch, Chefarzt der Orthopädie und Unfallchirurgie, Hand- und Fußchirurgie sowie Sportmedizin im Wittmunder Krankenhaus aus. Und so gibt es auch hier in der Klinik die Möglichkeit, Knorpel zu ersetzen. „Es gibt so viele Methoden“, erklärt der Chirurg. Es besteht sogar die Möglichkeit, Knorpel aus eigenen Zellen zu züchten und zu implantieren. Aber das, so der Mediziner, ist rechtlich kompliziert – die Zellen müssen in einem externen Labor gezüchtet werden. Man kann auch Knorpel aus anderen Gelenken entnehmen, sozusagen ausstanzen und in das vorbereitete geschädigte Gelenk einsetzen. „Das macht Sinn, wenn man ein kleines betroffenes Gelenk hat wie den Zeh“, erklärt Dr. Lerch. Denn auf diese Weise entnimmt man dann Knorpel zum Beispiel aus dem Knie – aber eben nur eine sehr kleine Menge, weil natürlich das Gelenk des Zehs wesentlich kleiner ist.

Aus Knochenmark wird Ersatzstoff

Gängig ist auch die sogenannte Mikrofraktuierung. „Nehmen wir das Knie. Man kann winzig kleine Löcher in den zum Beispiel Oberschenkelknochen bohren“, erklärt Matthias Lerch anschaulich. Aus diesen etwa zwei Millimeter großen Öffnungen treten Blutbestandteile und Knochenmark aus. „Das, was man dann hat, ist kein Knorpel, aber ein guter Ersatz. Es bildet sich ein fasriger Ersatzstoff, der sich zwischen die Gelenke setzt“, macht der Chirurg deutlich. Wie viele Löcher nötig sind, das hängt von dem geschädigten Gewebe ab. „Manchmal sind es drei, und dann wieder 20“, sagt Lerch. Es handelt sich bei dem Eingriff, dem eine sechswöchige Rehabilitation, in der das Gelenk so gut wie nicht belastet werden darf, aber um keine Lösung für die Ewigkeit. Das neue Gewebe ist nicht so robust wie der ursprüngliche Knorpel.

Chefarzt PD Dr. Matthias Lerch kennt verschiedene Methoden, mit denen man geschädigten Knorpel auch am Kniegelenk wieder herstellen kann. ©Inga Mennen M.

Mit Dr. Matthias Lerch ist im Klinikum aber eine neue Methode eingezogen, um Knorpelschäden zu behandeln. Der Orthopäde setzt dabei auf das AutoCart-System (Arthrex GmbH). Dieses Verfahren ist eine Weiterentwicklung der sogenannten Knorpelchips-Technik, die Ärzte bereits seit den 1980er-Jahren erfolgreich anwenden. Dabei zeichnet sich die Behandlungsmethode AutoCart, das System ist geschützt und patentiert, durch zwei Vorteileaus: Im Gegensatz zur Knorpeltransplantation aus gezüchteten Zellen ist bei AutoCart nur ein arthroskopischer Eingriff nötig. Bei der Behandlungsmethode kommt ausschließlich körpereigenes Gewebe zum Einsatz. „Wir haben diese Methode in Wittmund bereits eingesetzt – am Knie- und am Sprunggelenk“, erklärt Matthias Lerch. Es wird zunächst eine diagnostische Arthroskopie zur Beurteilung des Knorpeldefekts durchgeführt. Nach Beurteilung der Größe des Defekts müssen vitale Knorpelzellen gewonnen werden. Dies geschieht über einen Adapter, mit dem aus dem Defektrand Knorpelzellen gewonnen werden. Parallel muss dem Patienten Blut abgenommen werden, um Plasma herzustellen. Zum einen werden die gewonnenen Knorpelzellen mit Wachstumsfaktoren vermischt, zum anderen wird über einen weiteren Adapter (Thrombinator) autologes Thrombin hergestellt.

Fertige Knorpelzellen werden eingesetzt

Die fertige Knorpelzellmischung – sie gleicht ein wenig der Zahnpasta – wird über einen Applikator in den Defekt eingebracht und anschließend mit der autologen Fibrin- und Thrombinmixtur fixiert. Der Eingriff dauert ungefähr 20 Minuten, die Patienten bleiben drei bis vier Tage auf Station. Um das Auslösen des Transplantates zu vermeiden, muss das Bein 48 Stunden ruhiggestellt werden. „Auch sechs Wochen nach dem Eingriff gilt es, den Defekt zu entlasten“, erklärt Dr. Lerch. Diese weiterentwickelte Methode der Knorpelreparatur ist noch verhältnismäßig jung, deshalb gibt es noch keine aussagekräftigen Ergebnisse zu Langzeituntersuchungen. Das Knorpelzentrum Wien nimmt an einer entsprechenden Studie teil.

Ein Knorpelschaden kann auch durch eine Fraktur, also einen Knochenbruch hervorgerufen werden. Und so widmen wir uns in der nächsten Folge „Klinik vor Ort“ den Unglücksraben, die sich die Knochen nicht nur glatt gebrochen, sondern auch durchaus gesplittert haben, was für die Chirurgen wieder neue Herausforderungen für die Heilung nach sich zieht.

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